Samstag war es endlich mal soweit: ich bin das Mannschaftszeitfahren von Hamburg nach Berlin gefahren. Normalerweise ist genau an dem Tag immer was auf Hawaii, weshalb das die letzten 15 Jahre nie was mit mir vor Ort geworden ist. Die Veranstaltung gibt es nämlich schon etwas länger. Ausgetragen wird sie vom Audax Club Schleswig-Holstein. Die kümmern sich in erster Linie um noch längere Dinger und die knapp 300 Kilometer von Hamburg nach Berlin sind wahrscheinlich sowas wie ein lockeres Ausrollen der Saison für die meisten dort. Wobei: es gibt ja auch noch diverse Touren zum Fischbrötchenholen, einmal rund um Norddeutschland und ähnliche Ritte, Start sagen wir mal am ersten Weihnachtstag um drei Uhr morgens. Vorausgesetzt es regnet Schnee. Los für meine beiden Mitleidenden/-reisenden und mich war Samstag gegen acht Uhr in Curslack, das ist der östliche „Stadt“-rand von Hamburg. Nachdem wir monatelang noch fünf Mitstreiter waren, haben sich – der Klassiker – zwei Experten kurz vor dem Melde-Tag noch verabschiedet (Arbeit, krank, wenig trainiert und so), so dass es jetzt mit Matten Jacke und Sebastian Grospitz auf die Tour ging. Vorgaben gab es kaum welche außer ein paar Fixpunkten unterwegs und dem Ziel in Spandau. Die Streckenwahl war also fast frei und weil wir mit Zeitfahrrädern fahren wollten, war die Idee, eher schnell und geradeaus statt eng und hakelig zu fahren. Und nur zu dritt in Einer-Reihe. Als Resultat hatten wir nachher 280 Kilometer auf der Uhr, im Netz und bei diesem Strava geistern aber auch Distanzen von 270 bis 310 herum. Letzteres war auch die Distanz, die ich zu meinem Fünfzigsten im Sommer schonmal rückwärts gefahren bin, nachts. Mehr zu dem Ritt gibt es hier . Solche Distanzen geht man zumindest mit der ein oder anderen Strategie an. Eine war, möglichst viel Flüssignahrung am Rad zu haben und regelmäßig was zu trinken um nicht zu bonken, also dauerhaft ohne Hungerast unterwegs zu sein. Der wäre bei der Länge nämlich tödlich: zitternd und schweißnass irgendwo in Brandenburg zu stehen, klingt jetzt nicht so nach dem glücklichen Saisonausklang. Strategie Punkt zwei war dann das Thema Pacing und Führungen fahren. Weil wir nur zu dritt waren, gingen wir das so an, dass jeder zehn Minuten vorne fahren sollte und sich dann wieder hinten einreihen, berappeln, was trinken und die Gegend genießen. Weil wir alle recht nah beieinander waren, was den gedachten G2-Bereich anging, war die sehr zuversichtliche Annahme, wir würden uns dadurch mit 40 km/h Reisegeschwindigkeit Richtung Berlin bewegen, vorausgesetzt mal wir hätten keinen Gegenwind. Übersetzt: sieben Stunden mittelhart ballern und fertig ist der Lack. Was kurz zum Thema Wetter führt: die ganze Woche vorher goss es jeden Tag in Strömen und stürmte aus allen Richtungen. Genau so ist das aber auch geplant für die Veranstaltung. Ich hatte die Audax-Jungs vor Jahren mal angefragt, warum/ob sie das nicht auch mal im Sommer austragen wollten. Antwort: nein, bei gutem Wetter kommen zu viele Schönwetterfahrer, die wolle man da nicht. Und das gehöre halt tendenziell kalt und nass. Und windig. Justamente am Samstag war dann aber der einzige Tag, an dem es trocken war. Aber auch frisch –am Start hatten wir acht Grad. Plus es gab einen wunderschönen Westwind. Was unser Ziel in Berlin anging, hätte es also nicht viel besser laufen können, um hart am Wind zu segeln. Das Glück war also wie so oft wieder mit den Dummen. Darauf sollte man überhaupt und immer achten, wenn es um die Zusammenstellung solcher Radreisegruppen geht. Gut ist auch immer, mindestens einen stoischen Menschen dabei zu haben, der den Schreihals in der Reihe (in diesem Falle mich) gemütlich aussitzt. Das mit dem Pacing ging auch erstaunlich gut und zwar über locker sagen wir mal fünf Stunden. Nach gut 2,5 davon waren wir in Dömitz hinterm Wendland, wo es wieder über die Elbe ging und das einzige Mal eine offizielle Kontrolle samt Verpflegung stand. Danke an dieser Stelle an Vadder Grospitz und Hein Mück Lachmann, die das alles so schön vorbereitet hatten. Und wohl gar nicht so viel früher als wir da vor Ort waren. Da hätte man auch noch in andere/trockene/frische Klamotten wechseln können, wenn man nass geworden wäre. War ja aber nicht nötig. Also schnell alle Flaschen neu ans Rad stecken und weiter. Bei mir waren das vier Große in rund und was im Tank am Bug. Aerodynamisch ein Graus, aber den Tag die einzige Lösung. Ab da ging es dann also durch Meck Pomm, immer weiter mit Rückenwind Richtung Berlin. Irgendwann so kurz vor der Landesgrenze nach Brandenburg kamen wir aber auch in der Realität an. G2 fuhr sich nicht mehr so leicht und locker wie anfangs und es war immer noch die Hälfte der Strecke vor uns. Erste Konsequenz: Leistung leicht reduzieren. Zweite dann: Führung vorne im Wind verkürzen auf sieben, dann auf fünf, dann auf drei Minuten. Dritte: auch mal aussitzen, wenn man nicht kann. Dabei aber immer: weiter verpflegen und das in erster Linie flüssig und süß. Auf die Dauer kommt einem das dann aber aus den Ohren wieder raus. Oder anderswo. Die Pinkelstopps wurden auch häufiger, wohl auch, weil sich jeder mal über ein paar Minuten Pause freute. Also ich zumindest. Die Idee, 280 Kilometer mal eben in glatten sieben Stunden abzureißen hatten wir da auch schon gekippt, jetzt ging es ans Eingemachte und ans Ankommen. Zur Not halt auch mal in nicht so richtig aerodynamischer Zeitfahrposition sondern einfach irgendwie. Eine knappe Dreiviertelstunde vor Spandau kamen wir dann via Falkensee in den Großraum Berlin und ab da ging es dann nur noch ums Durchkommen. Und ums Überleben, weil die Autodichte jetzt wieder massiv zunahm. Nach Stunden in der einsamen Provinz war das schon eine Herausforderung. Das war auch einer der Gründe für die Streckenwahl, die Kollege Grospitz ganz großartig erledigt hatte: man hätte sicher kürzer fahren können, dann aber entlang der B 5. Aber das Generve mit den Autos wollten wir vermeiden. Als dann ganz großspurig was von „Spandau: 6 Kilometer“ auf einem Schild stand und ich schon hochschalten wollte, kam dann der große Knall hinter mir. Was erst wie ein Platter aussah, entpuppte sich schnell als ganz massiver Krampf beim Kollegen Matten im Oberschenkel. Und auch der ist sehr massiv. Schreiend stand er da am Zaun und nichts ging mehr. Meine Idee, per Ohrfeigen einen anderen Reiz zu setzen und vom Krampf abzulenken brachte interessanterweise nichts. Außer verstörte Blicke bei der älteren Dame samt Hackenporsche, die vom Einkaufen kam. Um dem noch die Krone auszusetzten, bekam ich beim Warten auf Mattens Schenkel meinen berühmten Würfelhusten und legte eine Mischung aus Gel, Ingwersaft und Fruchtgummis auf den Seitenstreifen. Es war dann offenbar doch etwas viel an Kohlenhydraten, die ich über den Tag reingedrückt hatte. Das Thema hatte ich kürzlich ja mal im Podcast mit Boris Stein . Und leider vertrage ich die satten 120 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde offenbar auf Dauer nicht. Die hatte ich nämlich unterwegs auch schon mehrfach und wiederholt im Mund. Nachdem wir uns wieder berappelt hatten, ging es durch den Stadtverkehr samt jeder Ampel auf Rot Richtung Ruderclub. Da dann nicht mehr auf Tempo sondern eher auf Autotüren achtend. Zum Glück war dazu aber noch genug Zucker im Hirn. Zumindest bei mir, die anderen beiden Kandidaten rauschten nämlich an der Einfahrt vom Ruderclub und die winkenden Groupies vorbei und ich war damit Erster. Also von uns. Am Ende waren es dann glatte 280 Kilometer, drei weniger als auf dem Track standen und knappe sieben Stunden und 50 Minuten seit Start. Eingerechnet der Stopps zum Wasserauffüllen und nachher gefühlt zigfach wieder in Stangenform abstellend. Effektiv in Bewegung, und das ist bei der Dauer ja das was zählt, waren wir sieben Stunden und zwanzig Minuten. Gemessen daran, wie zäh es unterwegs teilweise lief, ist das auch voll ok für uns gewesen. Wegen Corona entfiel das üblich Grillen und gemütliche Ausklingen vor Ort und wir machten uns auf ins Brauhaus samt angeschlossenem Hotel im Vor-Wende-Charme. Nach drei Bier und einem Schnitzel mit Kartoffelsalat war dann aber auch fix Feierabend bei mir, um 20 Uhr war ich im Bett und glühte die ganze Nacht nach. Hier geht es noch zur Liste mit den Zeiten. Wenn ich mir die ganz vorne anschaue, dann brauche ich als nächstes eigentlich auch so ein vollverkleidetes Liegerad. Den Ritt wie wir ihn gemacht haben, brauche ich allerdings eher nicht noch einmal. Besser werden die Wetterbedingungen sicher nicht und ganz ehrlich: diese überlangen Dinger machen mir und meinem Magen unterwegs einfach zu wenig Spaß. Und mit Glück ist ja Mitte Oktober 2021 auch wieder was auf Hawaii, wo ich da anderen beim Sport zugucken kann. In Shorts und meinen geliebten Flip Flops. Danke für die Bilder und überhaupt an Papa Grospitz und Janni Lachmann! Wobei das mit der Ukulele vom Sienknecht ist, meine ich.
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Hier geht es um Sport an der frischen Luft! Dabei ist mindestens ein Fahrrad involviert und manchmal geht auch was kaputt. Sei es an Mann oder Maschine.
Da ich im Norden lebe, ist es zehn Monate im Jahr kalt und nass . Die Radfahrerbräune bleibt dabei auf der Strecke. Dafür klebt der Dreck überall und die Rotze gern mal quer. Was mir dabei durch den Kopf geht oder auf der Strecke bleibt, findet ihr hier bei mir im Blog #fratzengeballer. Also, welcome to the real world! Der Baranski Archiv
September 2024
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