ACHTUNG: heute mit ganz viel Text für den Feiertag, lasst den Bollerwagen am besten im Schuppen. Blöd ist das dieses Jahr noch mehr als sonst und es fühlt sich morgen früh ganz sicher auch besser an! Personality-Alarm: heute geht es im #fratzengeballer um einen jungen Mann, der mir im Laufe der letzten 20 Jahre immer wieder über den Weg lief. Mal zufällig, mal gewollt und gern häufiger mal mit einem anderen Künstlernamen. Was allerdings fast immer der Fall war: er hatte ein Rad und eine neue Story dabei. Und gewissermaßen geht es hier auch um das Erwachsenwerden. Von ihm, von mir und überhaupt. Ladies and Gentlemen, weil heute Himmelfahrt ist, Der Baranski meets Alexander Bethge, im Jetzt auch bekannt als der Graveljesus! Das erste Mal lief mir der Name so nebenbei über den Weg: ich fuhr Ende der 90er Downhill-Rennen und lungerte wochentags im lokalen Bike-Shop rum, um dem Besitzer die Zeit zu klauen und mir seine Räuberpistolen anzuhören. Das war damals Simon´s Cycles an einem Wendehammer im schönen Harburg. Da hingen außer der Hamburger Downhill-Fraktion Thommy T, Matschi Faber und mir auch immer ein paar Halbstarke rum, die Cross-Country-Profis und am besten auch gleich Weltmeister (oder zumindest Grundig-Cup-Sieger) werden wollten. Gefühlt maßen die sich alle daran, dass sie schonmal einen Alexander Bethge verblasen hatten. Oder zumindest fast. Der war nämlich auch Teil der Clique von Bicycle Racing Club Harburg, der Werksmannschaft des Shops. Laut vereinseigenem Archiv wurde er da auch als Alexandra geführt, plauderte aus dem Nähkästchen und gab in der Vereinszeitung aus dem Copyshop Techniktipps für Stahlrahmen, die da noch jeder fuhr. Clark Kent, GT und so. Vorab danke an Familie Bergeest für das Raussuchen dieser wahren Schätze. Interessant – bitte merken – er hatte schon damals eine gewisse Affinität ins Schwabenländle, wie sein Rennbericht zum Grundig-Cup in Münsingen zeigt. Das wird später nochmal so richtig interessant bis brisant. Persönlich habe ich ihn da allerdings nie gesehen. Oder er ist mir einfach nicht aufgefallen. Cross Country fand ich damals total langweilig, das hatte ich Anfang der 90er schon für mich abgehakt, weil zu anstrengend. Die coolen Typen fuhren bergab und tranken vorher und nachher ganz viel Bier und hampelten auf irgendwelchen Bühnen als Schlagerpunkrockband „Pornostuntmen“ rum. Ausdauer dabei reichte völlig. Und Gewicht war gut und nicht schlecht, Stichwort Hangabtriebskraft. Ein paar Jahre später hatte ich aber die Schnauze voll von dem Zirkus und wollte nicht mehr jedes Wochenende auf der Autobahn stehen. Oder im Schlamm in Rittershausen oder Todtnau und da mein teures Material schrotten. Ich kaufte mir von allem Geld, das bei der DH-Fuhrparkauflösung rauskam mit 30 Jahren ein richtig schickes Rennrad und wurde ein richtiger Rennradfahrer. Und als solcher fährt man Dienstag und Donnerstag und wenn keine Rennen sind, dann auch Samstag und Sonntag zu einem Trainingstreff. Bei so einem traf ich dann auch das erste Mal live auf Alex, mittlerweile unterwegs als Axel Foley und längentechnisch schonmal ausgewachsen. Das war, nachdem er die letzten Jahre nicht mehr viel anderes gemacht hatte, als Mountainbike zu fahren und dass auch ziemlich erfolgreich: er war mittlerweile nämlich Teil der Stevens-WG über dem von-Hacht-Laden in der Breitenfelder Straße. Von da ging es am Wochenende immer raus Richtung Norden und zwar im Eiltempo. Für alle, die damals schon dabei waren: ich war der Honk mit dem original Team-Saeco-Cannondale-CAD3 von Giuseppe Calcaterra. Das war ein Anfahrer von Mario Cipollini und ich hatte wie gesagt alles an Kohle da reingesteckt. Deshalb hatte ich auch kein anderes (Winter-)Rad mehr und eierte mit der edlen Campa Record (9-fach) hinter euch her durch den Nebel. Jedes Wochenende eine halbe Stunde länger, bis zum damals für mich unvermeidlichen Platzen. So lernt man die Welt rund um Bönning- und Norderstedt, Kisdorf und Wakendorf II halt auch kennen und schätzen. Alex hatte es bis dahin weit gebraucht. Also zumindest schonmal in einen BDR-Kader. Er wurde 3. bei der DM der Junioren, war Teilnehmer an der EM und beim Olympiastützpunkt hier in Hamburg boten sie ihm Hilfestellung dabei, wie das weitergehen könne mit der steilen Karriere. Die wollte er da aber gar nicht mehr. Und startete so richtig voll durch – mit Wein, Weib und Gesang. Der motivatorische Ofen, sich weiter zu quälen und unter Druck zu setzen, der war auf einmal einfach aus. Einer, der ihn anfangs trainingstechnisch betreute, neben der schwedischen Nationalmannschaft im BMX, meinte Alex sei eins der größten Talente gewesen, die der Norden gehabt hätte. Die Schule hatte er wegen des Radsports vorsorglich schonmal erfolgreich abgebrochen, und nun war er ausgebrannt – mit Anfang zwanzig. Er hatte die Faxen dicke und schmiss allen um sich herum einfach alles vor die Füße. Im Nachhinein hat er das mal als „wasted youth“ bezeichnet und offenbar bestand da gehörig Nachholbedarf in andere Richtung. Der Lebensmittelpunkt verlagerte sich von Eppendorf in eine WG mit Kollege Mortensen samt eigener Bar im Wohnzimmer. Die hatte ab mittwochs immer durchgehend geöffnet. Danach ging es in die berüchtigten Hochhäuser am Spielbudenplatz, die irgendwann abgerissen werden mussten. Statt „Training“ stand da „Tanken“ auf dem Programm, unten war nämlich die legendäre ESSO direkt im Haus. Bock auch auf sportliches Rumrandalieren hatte er sporadisch dann und wann schon noch, das waren dann meist Rundstreckenrennen für den Harvestehuder RV, sowas wie der Heimatverein von Stevens. Das lief dann wieder ganz gut , neben einem ausgedehnten Partyprogramm. Das musste man damals auch erstmal schaffen: Druck weg, Bock wieder da. Im Cross ging er damals auch ganz gut ab und die pornöse Ludenbrille nahm er dafür dann auch nicht mehr ab. Bezeichnenderweise auf dem Bild gleich mit drauf, rechts neben ihm: der Bock. Das muss auch so die Zeit gewesen sein, als wir bei einem Wald- und Wiesen-MTB-Rennen hintereinander am Start waren. Kurz und knackig rund um Jesteburg. Während nachher alle röchelnd im Gras lagen und Blut schmeckten, meinte er nur, das sei ja eine ganz muntere Hatz gewesen – und fuhr mit dem Rad wieder zurück nach Hamburg. Keine Ahnung wer da den Tag Zweiter wurde. 2004 trafen wir uns dann wieder bei der Deutschland-Tour. Da fuhr Herr Foley im Team der „Fit for Fun“, damals ein Magazin für hübsch gestählte und sexuell attraktive Menschen. An der Seite des schnellsten und bestaussehendsten Fitness-Models Deutschlands, Achim Sahm fuhr er auch da einfach vorne mit rum und sorgte für Furore. Auch die Alpen hoch, auch abends, auch abseits der Strecke. Immer dabei: seine Riesenklappe. Die hatte aber nichts mit dem Nasenbluten beim Zeitfahren zu tun, das war einfach zu hart für den großen Meister. An das die Tour abschließende Handgemenge hinter der Ziellinie in Leipzig erinnere ich mich nur schwach, aber da ging es dann wirklich hoch her: fittes Jungvolk gegen irgendeinen Seniorenfahrer, der vorher auf den letzten 200 Metern ganz böse rumgerangelt hatte. Gewonnen hat die Tour bei den Profis übrigens ein Stinkewitz (bäh!). Als es 2005 oder 2006 darum ging, bei den Cyclassics für Bergamont in der Teamwertung schön weit vorne zu landen, war er auch sofort dabei. Auf den letzten Drücker kam Alex morgens in Startblock A angetanzt, es war wieder spät geworden am Abend vorher. Das hat man auf den 150 Kilometern Jedermann-Gemetzel aber nicht gemerkt. Ein Jahr oder so später haben ich ihn dann das erste und einzige Mal ohne Fahrrad getroffen und zwar beim Asia-Grill in Altona. Und da habe ich ihn erst gar nicht erkannt. Er hatte nämlich plötzlich einen richtigen Bizeps und erste zärtliche Anzeichen von Tattoos. Allerdings überhaupt keine Stimme mehr. Da war er nämlich gerade frisch von der Bandprobe gekommen und Shouter in einer Hardcore-Combo. Über das Proben kam die allerdings nicht hinaus, was ich von meiner Band zehn Jahre vorher leider nicht behaupten kann. Und dann war erstmal ein paar Jahre Ruhe vorm Bethge. Man munkelte, er sei samt Nachwuchs ausgewandert Richtung Süden. Dahin, wo seine Liebste herstammte, die er beim Fischdöner in der Wohlwillstraße (heute Suicycle) kennengelernt hatte. Irgendwo grobe Richtung Stuttgart, Schwäbische Provinz. Keine Ahnung, wie weit weg das von Münsingen war, wo die Glocken so laut läuten. Im Nachhinein sagt er, habe er dort enorm viel gelernt, und zwar nicht nur Dialekt. Über das Umfeld von Rolf Gölz hat er relativ viele Promis an der Hand gehabt, für die er die Räder in Schuss gehalten hat. Einer davon: Daniel Unger, den Triathlon-Weltmeischta von 2007, für den er das Olympia-Rad 2008 für Peking aufgebaut hat. Das vom Ungerman war übrigens wieder ein Stevens. So klein ist die Welt in Radsport-Deutschland halt. Und wer weiß, vielleicht wird der Unger ja bald noch der neue Beckenbauer, so als Weltmeischtatraina im Triathlon. Wiedergetroffen haben wir uns dann grob so 2010 oder 2011 und da war Alex sowas wie der Al Bundy von Paul Lange: keiner wusste mehr über die Radschuhe von Shimano als Herr Bethge aus Rade. Das war noch vor Boa aber schon mit jeder Menge Ratschen. Und so ganz langsam kommen wir zum Heute: Alex ist mittlerweile zweifacher Familienvater und komplett vollgepikert. Er hat es aus der Schwabenpampa nach Stuttgart reingeschafft und schafft bei der Internetstores AG. Schwerpunktmäßig betreut der da die Marke Votec und macht die so richtig sexy. Wie passend. Und wenn es passt, dann fährt er weiter Rad und das am allerliebsten mit diesem neumodischen Ding namens Gravelbike. Daher auch der neue Nick Graveljesus, der letztes Jahr irgendwo zwischen Ziellinie und Bierstand aufkam. Er fährt damit gern auch mal etwas längere Touren und mit ganz viel Gepäck, etwa das Atlas Mountain Race, das kurz vor dem Corona-Chaos einmal quer durch Marokko führte. Ob er das nochmal machen muss und ob das Gravelbike für so eine Tragetortur das richtige Bike ist, lässt er allerdings offen. Das AMR war wohl ganz schön hart, ein Tag hatte da 300 Kilometer Radtragen und danach gab es kalten Döner. Dazu definiert er sich primär weiter als Radfahrer und nicht Radwanderer (meine Rede) und deshalb kann es sein, dass er auch mal wieder bei einem MTB-Marathon mit dem Rennlenker auftaucht oder bei einem Cross-Rennen in der Masters-Klasse zum Rumrandalieren antanzt. Passenderweise ploppen demnächst sicher auch ein paar mehr dieser Gravelrennen in Deutschland auf und wenn ich wetten müsste, dann sehen wir uns da. Geplant war was ganz ähnliches jetzt auch schon Anfang Mai, bis Corona uns da einen Strich durch die Rechnung machte: es sollte nämlich ein Hamburg-Ableger der Gravelfondo-Serie durch die Lüneburger Heide gehen. Das stand alles schon inklusive Bio-Catering und ist jetzt erstmal leicht nach hinten geschoben. Aber Geduld haben heute ja alle mehr als vor zwanzig Jahren. Wer ein Autogramm möchte oder einfach mal Kudos loswerden, der findet den Graveljesus hier auf Instagram. Die Bilder stammen aus dem Familienalbum von den Bethges, vom Dachboden der Bergeests, von Vadder Mortensen und von Nils Laengner, Marc Lehmann, Dan Zoubek und Jonathan Hines. Vielen Dank dafür.
So, und jetzt eine schöne Himmelfahrt euch allen, rauf aufs Rad! |
Hier geht es um Sport an der frischen Luft! Dabei ist mindestens ein Fahrrad involviert und manchmal geht auch was kaputt. Sei es an Mann oder Maschine.
Da ich im Norden lebe, ist es zehn Monate im Jahr kalt und nass . Die Radfahrerbräune bleibt dabei auf der Strecke. Dafür klebt der Dreck überall und die Rotze gern mal quer. Was mir dabei durch den Kopf geht oder auf der Strecke bleibt, findet ihr hier bei mir im Blog #fratzengeballer. Also, welcome to the real world! Der Baranski Archiv
September 2024
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