Dass dieses Jahr irgendwie anders ist, haben ja mittlerweile alle gemerkt. Statt jedes Wochenende irgendwo zu einem Wettkampf zu fahren, vertreibt man sich die Zeit mit virtuellen Schlagabtäuschen, macht plötzlich sowas wie Everesting (knapp 9.000 Höhenmeter an einem Tag per Rad) oder anderen Blödsinn, der sonst so eher nicht stattgefunden hätte. Neulich war das bei mir schon der Heidschuckenweg per Gravelbike durch die Lüneburger Heide. 220 Kilometer durch den Sand. Und am Siebenschläfertag (das ist jedes Jahr der 27. Juni) war es jetzt der Nightride aus Berlin nach Hamburg auf den Fischmarkt, der bei mir passte wie die Faust auf´s Auge. Alternative wäre nämlich dieses Jahr eigentlich gewesen, mal wieder eine Kneipe zu mieten und mit den durchzufeiern, so wie damals beim 30. Geburtstag. Aber die Idee hatte sich ja auch Corona sei Dank schon Mitte März zerschlagen. Also ging es eher darum, mir selbst einen einzuschenken zum Fünfzigsten und zwar die ganze Nacht durch und auf dem Rad. Das hatte ich so noch nie und das klang auch schnell plausibel, als mir ein kleiner Spatz die Veranstaltung auf Facebook ans Ohr flüsterte. Wer sich das mal merken möchte für 2020, hier die Einladung von diesem Jahr. Leider war er selbst mal wieder zu langsam, um sich da auch selbst und hochoffiziell anzumelden. Bei Facebook nur auf „Interessiert“ zu klicken ist da nämlich nicht die Lösung. Sonst wären da statt der knapp 50 Teilnehmer ja auch fast zehnmal so viele Fahrer am Start gewesen. Los ging es am Tag vorher mit meinen beiden Liebsten, um Berlin unsicher zu machen. Inklusive der ungezügelten Fresserei von Papa, weil der für den nächsten Tag Energie brauchte. Dafür kann ich die Simon-Dach-Straße empfehlen, am besten einmal hoch und wieder runter durch jedes Etablissement fressend. Und zum Reinfeiern genau zwei Bier im Taproom meines Vertrauens, dem Protokoll. Auch das (nur), weil am Samstag noch was intensives anstand. Den Samstag verbrachten wir dann bei herrlichen dreißig Grad und mehr auf dem Rad in Berlin, sozusagen als Aufwärmübung für die Nacht. Die diversen Glückwunsch-Apps samt Screenshots irgendwelcher Wetter-Apps, nach denen es in Hamburg schon ordentlich gewitterte, wurden einfach ignoriert. Was das auch immer soll: wenn man draußen fährt, wird man irgendwann immer nass, so einfach ist das. Am frühen Abend ging es dann für mich nach Spandau und für den Rest schonmal wieder per Auto zurück nach Hamburg – durch eine ordentliche Gewitterfront. Und um kurz nach 19 Uhr ging es dann auch für uns Radfahrer los Richtung Westen. Als letzte Gruppe des Tages, 15 Mann und Frau stark. Eine halbe Stunde später waren wir dann auch da, wo vorher der Regen war. Und ab da auch leicht angefeuchtet, angenehm schwül und leicht runtergekühlt. So blieb es dann für uns auch die ganze Nacht. Das Glück war also einmal mehr wieder mit den Dummen. Die ersten hundert von angekündigten 309 Kilometern vergingen dann auch recht fix und im schönen Havelberg gab es Nachschub aus dem Begleitfahrzeug. Das, so wie der gesamte Ablauf war alles generalstabsmäßig und picobello vom Ausrichterverein Wff aus Berlin organisiert. Die Jungs und Mädels machen sowas sonst aber auch öfter und europaweit. Und bieten neben Radsport noch genau eine weitere Disziplin an: Volleyball. Für mich immer noch irgendwie eine exotische Kombi. Ich hatte die ersten Male übrigens immer was von "Wtf" gelesen und das war einer der maßgeblichen Gründe, warum mich das sofort so ansprang und ich mich da angemeldet hatte. Kudos an dieser Stelle mal stellvertretend an Stefan und Johannes, die das ganze Ding vorbereitet und umgesetzt haben neben den Helfern, deren Namen ich mir immer nicht merken kann. Danach wurde es dann endlich auch so richtig dunkel und ab da auch fordernder, für mich vor allem Richtung Hintern und Konzentration. Interessanterweise hatten da auch gute drei Viertel der Mitfahrer Hosen von Assos an. Ich übrigens auch und ich glaube das war eine gute Wahl. Wer sowas – wie ich bis da auch – noch nie im Dunkeln nach Navi gefahren ist: man sieht halt in der Pampa außer dem Navi nichts. Außer dem grellen Rücklichtern der Mitfahrer. Dass die beim direkten Reingucken so richtig schön in den Augen beißen, muss man auch erstmal erlebt haben. Ähnlich wie die Hightech-Lampe mit Helligkeitssensor, die immer zwischen Tagfahr- und Abblendlicht hin- und herpendelt, wenn von hinten ein anderer Strahler der Sensor trifft. Das wird man sich irgendwie abstellen können. Ich konnte das unterwegs und spontan jedenfalls nicht. Etwas zäh wurde es dann für mich so ab zwei Uhr morgens, vor allem mit der Perspektive, dass es jetzt noch 2,5 Stunden dauern würde, bis es wieder dämmern würde. Und ab da auch nochmal so ein bis zwei Stunden, bis wir im Hamburg sein würden. Auf der anderen Seite kamen wir dann auch so ganz langsam in meinen Kiez. Im Wendland war ich zwar nachts noch nie mit dem Rad unterwegs, aber in Hitzacker war ich dann froh, dass ich grob abschätzen konnte, wie lange es noch dauern würde. Und, dass es nicht direkt über die Jugendherberge und den Kniepenberg wie bei der anstehenden „Tour de Wendland“ gehen würde, sondern dass wir da dran vorbei gelenkt wurden. Am Kniepenberg habe ich bei RTFs nämlich schon reihenweise Leute schieben sehen. Wobei: den toten Marder auf der Abfahrt runte ran die Elbe hatte ich da noch nicht gesehen. Samstag aber zum Glück noch rechtzeitig, das war schon ein richtig fettes Ding. Ähnlich wie der querliegende Fuchs ein paar Kilometer später. Mit dem Dämmerlicht und den leichten Nebelschwaden an der Elbe kam dann auch sowas wie die Moral wieder, wenn die denn kurzzeitig weggewesen sein mag. Morgens um kurz vor Fünf die Elbe bei Geesthacht zu queren, werde ich auch als Frühtrainierer so schnell wieder nicht haben. Und das war echt ein Bild für die Götter: weil in Berlin war es schon hell und das konnte man über der Elbe auch schon erahnen. Der Rest durch die Vier- und Marschlande war dann auch noch rein für das Protokoll und fast schon auf einer Arschbacke absolviert. Ich konnte mich nur nicht mehr so recht entscheiden, auf welcher von beiden ich lieber sitzen wollte. An den Norderelbbrücken setzte dann nochmal ein leichtes Nieseln ein, allerdings nur bei mir und dem Fahrer hinter mir, der Latexmilch in meinem Hinterreifen sei Dank. Das mit dem Abdichten (merke: 28 Millimeter Reifen, 6 Bar Ausgangsdruck) hat dieses Mal allerdings auch wie im Werbefernsehen geklappt und ab da hatten auch alle die zweite (oder so) Luft: durch die Hafencity wurde dann das Tempo angezogen, grüner Welle um sechs Uhr früh sei Dank. Und ab den Landungsbrücken ging es dann nach schlappen 309 Kilometern im Sprint bis zum Fischmarkt. Interessanterweise haben die drei Damen in der Runde den Großteil der Männer dabei noch deutlich versägt. Im Ziel stand dann schon die ganze Infrastruktur aus Berlin samt Bierbänken und -tischen und obligatorischer Kiste Bier. Das auch ganz beinahe stilecht in Form von – ähem – Bremer Bier. Für mich ging es dann per Metronom zügig nach Hause und um kurz nach sieben war ich dann Sonntag im Bett. Ähnlich durchgeholt hätte ich im Zug vermutlich auch ausgesehen, wenn das mit der Kneipe und den Kumpels doch geklappt hätte. Wobei: erholt habe ich mich heute besser von 309 Kilometern auf dem Rad als die ganze Nacht hoch die Tassen, so wie zum Dreißigsten. Fazit: auch wenn man sonst nur 30 Kilometer auf Anschlag fährt, dann sind 300 im unteren Grundlagenbereich eine Reise wert. Zur Not hat man dann später auch was für die Enkelkinder zum erzählen, grob so: "als Opa damals im Wendland fast über den toten Marder gefahren wäre" oder so ähnlich. Danke auch noch an meine Beiden zuhause, dass die jeden Scheiß von mir mittragen. Und sich im Anschluss immer mein Ächzen und Stöhnen anhören, wenn ich vom Lachen wieder aus dem Keller hochkomme. Oder im Stehen einschlafe, so wie heute.
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Hier geht es um Sport an der frischen Luft! Dabei ist mindestens ein Fahrrad involviert und manchmal geht auch was kaputt. Sei es an Mann oder Maschine.
Da ich im Norden lebe, ist es zehn Monate im Jahr kalt und nass . Die Radfahrerbräune bleibt dabei auf der Strecke. Dafür klebt der Dreck überall und die Rotze gern mal quer. Was mir dabei durch den Kopf geht oder auf der Strecke bleibt, findet ihr hier bei mir im Blog #fratzengeballer. Also, welcome to the real world! Der Baranski Archiv
September 2024
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