Heute geht es endlich mal um eine Truppe, über die ich schon eine ganze Weile was machen wollte. Das wurde aber immer wieder verschoben, weil ich aktuell so viel vor der Flinte habe. Und weil von Anfang an klar war, dass das hier eine längere Sache wird. Es geht hier nämlich nicht nur um einen Typen auf dem Rad, sondern um zwei. Aber die sitzen beide auf einem. Das nennt man dann Tandem, schon mal gehört? Ich vorher auch, aber Ahnung hatte ich davon ehrlich gesagt bisher keine. Und weil alleine das Rad genug Stoff für eine Story birgt, geht es hier im ersten Teil „nur“ um die Menschen, Teil zwei kommt dann in Kürze und da geht es dann um die Maschine. Wobei die beiden Typen obendrauf auch sowas wie Maschinen sind, wie man sieht. Damit sind wir auch schon beim Vornesitzer und den kenne ich vom Sehen auch schon etwas länger. Dr. Peter Renner (der heißt wirklich so!) fuhr mir in Roth schon vor Jahren um die Ohren, wenn wir uns einmal im Jahr zumindest aus der Ferne begegnet sind – bei den Staffeln. Peter ist Jahrgang 1987 und fuhr geraume Zeit für das Hermann Radteam bei Erlangen beziehungsweise ist da auch einer der Männer hinter den Kulissen. Neben ganz beachtlichen Schenkeln hat er allerdings auch noch einen Vollzeitjob und arbeitet als Arzt in einer sportmedizinischen Praxis mit Schwerpunkt Innere Medizin, und Kardiologie. Wie so vieles Gutes in dem Ausdauersport kommt die ganze Clique, um die es hier geht, aus der Nürnberger Ecke und das Team Herrmann war von da aus ziemlich ambitioniert unterwegs, 2019 auch als UCI-Continental Team. Eine Sache, die man sich auf die Fahnen geschrieben hatte: Jugendförderung. Eine zweite: sauberer Radsport. Finde ich beides gut. Nicht so gut, aber aktuell fast schon normal: das Team verkündete Ende 2019 sein sportliches Aus, dem Sponsorenmangel sei Dank. Und dabei waren die 2018 Deutscher Meister im Mannschaftszeitfahren und 2019 dann erneut. Und irgendwie macht Peter sowas ja auch, allerdings als Duo und zwar mit einer weiteren Granate aus Franken, beim Tandem Stoker genannt. Das ist der, der hinten draufsitzt. Und das ist Tim Kleinwächter. Dieser junge Mann hatte im Leben schonmal viel Glück im Unglück, und er kann froh sein, dass es ihn überhaupt noch gibt. Tim hat bis zu seinem 17 Lebensjahr ein ganz normales Leben geführt, sich für Sport außer fürs Pumpen im Fitnessstudio nicht wirklich interessiert und als Zimmermann auf dem Bau gearbeitet. 2006 hatte er dann einen schweren Unfall mit dem (normalen) Fahrrad und ist im Dunkeln in einen geparkten Pickup geknallt. Auf dem ist er dann bewusstlos liegen geblieben. Weil der Besitzer von dem Ding dachte, Tim sei besoffen, da komplett vollgekotzt, hat er ihn zugedeckt und da über Nacht liegen lassen. So viel Ruhe muss man auch erstmal haben. Auf der anderen Seite: so sind sie halt, die Franken. Konsequenz davon war, dass er vier Wochen im Koma lag und man seinen Eltern sagte, mit ihrem Sohn sei es zwanzig nach Zwölf und wenn da überhaupt noch was möglich sei, dann ein Leben, indem nicht mehr viel drin ist. So, und wenn man ihn jetzt erlebt, dann ist davon „nur“ geblieben, dass er „fast blind“ ist, wie Tim selbst sagt. Manchmal gibt es halt doch Wunder. Und das hier ist eins. Tim hat sich nämlich wieder ins Leben zurückgekämpft und sich nicht damit abgefunden, dass er in der Rekonvaleszenz (was für ein Wort für sowas) fast 30 Kilogramm zugenommen hat, natürlich keine Muskelmasse. Weil das auf dem Bau mit der Einschränkung nichts mehr wurde, hat er eine Ausbildung zum Physiotherapeuten absolviert und dann irgendwann mit dem Training auf der Rolle begonnen. Seit 2011 fährt er auf dem Tandem auch wieder draußen und auf der Bahn wettkampfmäßig. Und seit 2016 mit dem Doktor Renner im Gespann, das Ganze nennt sich seitdem „Team-Name Herrmann Renn-Tandem Powered by H.Preiss“. Aus Sport als Mittel zum Zweck gegen das Dickwerden ist auch bei Tim dann schnell eine ganze Ecke mehr als ein Hobby geworden. Tim fährt im Jahr laut eigener Aussage mittlerweile 26.000 bis 28.000 Kilometer, einen Großteil davon – alleine – auf der Rolle. Das hat zur Folge, dass er erstens ein vielleicht nicht gern, auf jeden Fall aber häufig gesehener Gast im Service eines großen Herstellers für Smarttrainer ist (aktuell ist er bei Nummer acht eines der Topmodelle). Und dass er recht effektiv trainiert: drinnen gibt es halt weniger „Junk-Miles“ als draußen auf der Straße. Auch seine Schenkel finde ich beeindruckend, da ist offenbar auch viel Krafttraining auf der Rolle angesagt. Infolgedessen, und weil er vorne auch die richtige Maschine hat, können sich die Erfolge des Dynamic Dous aus dem Frankenland sehen lassen. Unterscheiden muss man hierbei dann noch zwischen dem Einsatz als Tandemduo im Straßenrennen und beim Zeitfahren, aber das findet sich im Detail dann in Teil zwei wieder, wenn es um das Material geht. Die beiden sind Mitglieder der Nationalmannschaft und ihre bisherigen Erfolge lesen sich in lockerer Reihenfolge dann so:
Großes Ziel der beiden sind die Paralympics 2020, die bisher noch für Tokio geplant sind, obwohl die Chancen einer Nominierung aufgrund der begrenzten Startplätze eher gering sind. Doktor Renner hat hierfür sogar seinen Job etwas hintenangestellt, bei Tim ist der Sport eh Vollzeit der Fokus. Vorher steht noch die WM in Ostende an, und hier wollen die beiden speziell im Zeitfahren ein Ausrufezeichen Richtung Verband setzen. Tricky: hier geht es, wenn ich das richtig verstanden habe, bei der Nominierung um ganz wenige Slots, die man sich dann noch mit allen Aspiranten teilen muss, egal wo deren Handicap liegt und in welchen Radsportdisziplinen die alle antreten. Und da ist ein Tandem halt auch – exotisch. Weltweit gibt es zirka 100 Tandemdoppel und die beiden haben sich in den Top 10 Weltrangliste festgebissen. So, und wer wie ich vorher auch dachte, das sei doch eigentlich alles ganz einfach mit zwei Leuten auf einem Rad, für den gibt es vor der Materialkunde in Runde Nummer zwei noch ein paar taktische Finessen und Haken und Ösen beim Tandemsport. Es ist nämlich bei weitem nicht so einfach, wie man sich das vorstellt: zwei Leute sind nicht pauschal doppelt so stark respektive schnell wie ein Fahrer, so von wegen „der Luftwiderstand ist ja viel kleiner für doppelte PS“. Kleine Anekdote dazu: letztes Jahr waren die beiden auch beim „King of the Lake“ Zeitfahren am Start und unter obiger Annahme meine Favoriten für die schnellste Runde um den Attersee. Als ich beim Aufwärmen sowas hörte wie „neuer Spitzenreiter ist Peter Renner“ – dass das ein Tandem war, hatte der Sprecher dabei nicht auf dem Schirm – und die Jungs auf die Sekunde genauso schnell waren wie ich ein Jahr vorher bei meinem Sieg (1 Stunde und zwei Sekunden), da dachte ich, das würde ein langsamer Tag werden von den anderen Zeiten her. Im Nachhinein war das ein strategischer Griff ins Klo, weil gleich eine ganze Reihe von Einzelstartern teils deutlich unter einer Stunde blieben. Und entsprechend doof habe ich im Ziel auch geguckt. Mit das wichtigste bei so einem Renntandem ist nämlich neben der körperlichen Topform – dabei dann von zwei Athleten an einem Tag – auch die Harmonie und das Zusammenspiel auf dem Bock. Damit das möglichst gut klappt, fliegen die beiden mit dem Tandem regelmäßig ins Trainingslager, was alleine von der Größe des Rades eine ziemliche Expedition und ein finanzieller Aufwand ist. Unbekannterweise dafür mal danke an alle Sponsoren und Unterstützer von mir. So, und wie bekommt man jetzt zwei Fahrer auf einem Rad unter einen Hut? Vereinfacht sieht es hierbei so aus: schwächelt einer, kann der andere auch nicht brillieren. Stehen beide aber voll im Saft und ergänzen sich, ist da kein Rankommen für einen Einzelgegner. Und damit die beiden Piloten möglichst gut harmonieren, gibt es eine ganze Reihe von Markern: Peter vorne hat zum Beispiel einen zweiten Computer am Cockpit, auf dem er die Leistung von Tim sieht und daraus dann Schlüsse ziehen kann, wie sich der Stoker gerade fühlt – und ob man noch mehr aufdrehen kann oder lieber nicht. Tim hat Peter vor sich immer im Blick (das klappt soweit ganz gut) und kann an seiner Haltung erkennen, wie der Pilot heute drauf ist. Er hat zudem einen Computer an Peters Rücken angebracht, wo er in großer Auflösung seine Watt sieht. Auch das klappt gerade so und das finde ich bewundernswert, weil ich es ganz oft habe, dass ich in freiem Flug im Wettkampf nichts auf dem Computer erkenne wegen der ganzen Tränenflüssigkeit, die dabei quer läuft. So, und wenn dann mal nicht alles hundertprozentig klappt, dann ist man eben nicht automatisch doppelt so schnell wie ein Einzelfahrer, trotz besserem Windwiderstand. Und wenn zum Beispiel beide angeschlagen von einer harten Saison sind, dann ist das auch gleich mal doppelt so folgenreich wie bei nur einem Fahrer, macht irgendwie Sinn, oder? Ganz wichtig laut der beiden ist auch der möglichst perfekte Tritt, weil ja beide die Kurbel immer im gleichen Rhythmus bewegen, dabei aber zwei unterschiedlichen Tretmuster haben. Wer sich damit schonmal befasst hat: es geht halt neben dem Drücken immer auch ums bewusste Ziehen, und das gut umzusetzen ist schon alleine nicht ohne, geschweige denn mit einem zweiten Motor mit zwei Kolben, der an der gleichen Kette hängt. Da sind die beiden dann eben doch keine hundertprozentigen Maschinen, sondern eher so ein fragiles Duo wie beim Paarzeitfahren, nur eben auf einem Untersatz. Und wie der genau aussieht, je nach Disziplin, also mit oder ohne Zeitfahrlenker, das seht ihr in den nächsten Tagen, da geht es dann nämlich ans Eingemachte: das Renntandem. Wer in der Zwischenzeit mehr zu den beiden erfahren will, der wird auf diesen Kanälen fündig:
Bilder copyright: sportograf, Kleinwaechter, Kay Paulus, Marathonfotos, Tana Hell.
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Hier geht es um Sport an der frischen Luft! Dabei ist mindestens ein Fahrrad involviert und manchmal geht auch was kaputt. Sei es an Mann oder Maschine.
Da ich im Norden lebe, ist es zehn Monate im Jahr kalt und nass . Die Radfahrerbräune bleibt dabei auf der Strecke. Dafür klebt der Dreck überall und die Rotze gern mal quer. Was mir dabei durch den Kopf geht oder auf der Strecke bleibt, findet ihr hier bei mir im Blog #fratzengeballer. Also, welcome to the real world! Der Baranski Archiv
September 2024
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